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Interview

„Lokal­­­­redaktionen sollten ihre Türen öffnen“

Tobias Hauswurz
Wie denkt man ein Café mit Journalismus zusammen? Tobias Hauswurz, Redaktionsleiter von Spotlight Gelsenkirchen, im Media-Rewilding-Interview.

Was ist das Spotlight Gelsenkirchen?

Correctiv hat in der Gelsenkirchener Innenstadt ein Café eröffnet, in dem man frühstücken kann, Kaffee und Kuchen oder Mittagstisch essen kann. In dem aber auch eine Redaktion sitzt, einen wöchentlichen lokalen Newsletter für Gelsenkirchen produziert und gleichzeitig das Café als Veranstaltungsort bespielt. Wir verlängern die Themen aus dem Newsletter oder und laden die Gelsenkirchner zu einem Stadtgespräch ein. So öffnen wir Räume für demokratischen Diskurs hier in der Stadtgesellschaft.

Was war der Auslöser für das Projekt? Gab es Vorbilder?

Dieses Café ist die Synthese aus zehn Jahren Correctiv. Hier sind ganz viele Sachen reingeflossen, die wir in der Vergangenheit schon gemacht haben. Pop-up-Redaktionen in Städten wie Bottrop zum Beispiel. Wir laden schon seit unserer Gründung immer wieder Leute ein, mit uns in den Diskurs zu gehen oder mit uns Recherchen zu machen. Wir haben dann gesagt: Wenn wir eine Lokalredaktion gründen, dann als einen öffentlichen Ort, als ein Café in dem Diskurs stattfinden kann. In dem man Journalisten bei der Arbeit sehen kann, wodurch unsere Arbeit transparent wird. Und wo Leute auch mitmachen können. Für uns ist das ein logischer nächster Schritt.

Und warum fiel die Wahl auf Gelsenkirchen?

Wir haben bewusst nach einer Stadt gesucht, die nicht zu klein und nicht zu groß ist, mit einem klaren Zentrum, mit einer Innenstadt. Gelsenkirchen ist journalistisch gesehen eine der spannendsten Städte Deutschlands. Die AfD ist hier seit Jahren sehr erfolgreich und ist bei der Bundestagswahl zum ersten Mal stärkste Kraft geworden. Gelsenkirchen gilt als ärmste Stadt Deutschlands, ist in allen Rankings immer ganz weit unten und ist seit Jahren im Niedergang mit hoher Arbeitslosigkeit. Hier gibt es viele wichtige Geschichten zu erzählen, ein bisschen wie Deutschland unter dem Brennglas. Es gibt auch noch einen profanen Grund: Correctiv ist eine Ruhrgebietsorganisation, unsere Verwaltung sitzt in Essen. Die räumliche Nähe ist einfach praktisch. Und ein ganz kleines Stück lag es dann auch an meiner Person, bevor ich in einem anderen Projekt bei Correctiv angefangen habe. Ich kenne die Stadt und konnte deshalb relativ schnell anfangen, Netzwerke aufzubauen.

Was wollt ihr mit dem Spotlight Gelsenkirchen konkret erreichen?

Es braucht Diskussionen darüber, wie wir in dieser Stadt wieder vorankommen können. Und dazu wollen wir einen Beitrag leisten, indem in wir in unserem Newsletter und tiefer gehende Recherchen machen. Und dann können wir den Raum für Gespräche öffnen, über unsere Recherchen diskutieren und gemeinsam überlegen was jetzt folgen sollte. Wir haben in unserem Newsletter zum Beispiel über Vermüllung berichtet, weil das in Gelsenkirchen gerade ein krasses Problem ist. Viel Müll liegt auf den Straßen, die Leute fühlen sich dadurch nicht mehr wohl. Wir haben im Newsletter versucht zu klären, woher das kommt und wie groß das Ausmaß tatsächlich ist. Bei unserer Veranstaltung dazu hatten wir dann jemanden vom Entsorgungsunternehmen und einen Aktivisten zu Gast, der Müllsammelaktionen macht. Wir haben gemeinsam mit dem Publikum Ideen gesammelt, wie man dem Müllproblem begegnen könnte. Diese Ideen hat jetzt der Entsorgen und hat versprochen zu prüfen, ob sich einzelne Lösungsansätze daraus umsetzen lassen.

Warum habt ihr dafür einen dauerhaften Ort geschaffen?

Wir wollen, dass sich das Café als Anlaufstelle etabliert. Es geht auch darum, unsere Arbeit zu zeigen und so Transparenz zu schaffen. Wir arbeiten hier, wo andere Leute dann Kaffee trinken oder zu Mittag essen. Wir sind ansprechbar. Man kann also im Prinzip jederzeit in unsere Redaktion spazieren und seine Themen loswerden.

Ist Spotlight Gelsenkirchen ein Café, in dem auch Journalismus stattfindet? Oder ist das ein Newsletter, der einen Ort hat?

Irgendwie ist beides richtig. Wir wollen das wirklich zusammen denken. Das Café funktioniert nicht ohne den Journalismus und der Journalismus funktioniert nicht ohne den Ort.

Wer ist eure Zielgruppe?

Wir wollen vor allem die Leute ansprechen, die eine Entscheidung für Gelsenkirchen getroffen haben. Also zum Beispiel Menschen, die mit ihrer Ausbildung fertig sind, die vielleicht gerade dabei sind, eine Familie zu gründen. Und eben Leute, die sich dafür interessieren, was in ihrer Nachbarschaft passiert, und wollen, dass Gelsenkirchen ein lebenswerterer Ort wird. Also auch Menschen, die ein Stück weit bereit sind, vielleicht selbst aktiv zu werden und die ihre Umgebung aktiv mitgestalten wollen.

Wie viele Leute passen in das Café?

Wir haben 40 Sitzplätze drinnen, plus Außengastronomie. Bei der größten Veranstaltung bisher hatten wir über 50 Gäste. Wenn man es richtig ausreizt und hier alles wegräumt, dann kriegt man bestimmt noch mehr rein.

Wie reagieren die Gelsenkirchener auf das Projekt?

Wir haben vorab runde Tische mit verschiedenen Gruppen aus der Stadtgesellschaft gemacht und sind sehr positiv aufgenommen worden. Eigentlich haben sich alle darüber gefreut, dass wir kommen und es als Bereicherung wahrgenommen, mit uns bald auf die Suche nach positiven Visionen gehen zu können. Das waren aber ehrlich gesagt auch Menschen, die ohnehin schon aktiv und interessiert an der Stadtgesellschaft sind. Aber auch, wenn hier Leute reinkommen, die uns noch gar nicht kennen, sind die meisten begeistert – einfach, weil in Gelsenkirchen etwas neues entsteht.

Wie kommen denn Café-Gäste abseits der Veranstaltungen hier mit Journalismus in Kontakt?

Indem man die Redaktion hier arbeiten sieht. Die Gäste sehen unsere Flyer und unsere Bücher – die liegen schon am Eingang aus. Wir sprechen Leute auch aktiv an, wenn wir zum Beispiel sehen, dass sie sich besonders für die Bücher in den Regalen oder die Bilder an den Wänden interessieren. Dann gehen wir hin und erzählen, was wir hier machen.

Wie viele Personen arbeiten hier?

Wir haben zurzeit zwei Redakteure in der Redaktion plus eine Werkstudentin. In der Gastro haben wir insgesamt sechs Leute, zwei davon Vollzeit und vier Aushilfen. Wir haben für die Gastro zwei Leute mit sehr viel Erfahrung eingestellt, die auch mithelfen werden, ein spannendes Kulturprogramm im Café auf die Beine zu stellen.

Und wie finanziert sich das?

Wir haben die gesamten Investitionen wie die Café-Einrichtung, den Umbau der Örtlichkeit oder die Küche aus dem Correctiv-Spendentopf bezahlt. Auch die Gastronomie soll so viel Geld verdienen, dass sie sich selbst trägt und den Journalismus mitfinanziert. Dazu kommen weitere Spenden, die wir hier dann vor Ort sammeln werden. Wir werden im Herbst eine eigene Spendenkampagnen starten.

Plant ihr auch Mitglieder-Finanzierungsmodelle für die Zeit nach der Projektphase?

Nein, da sind wir festgelegt. Wir werden nicht das grundlegende Konzept von Correctiv ändern, sondern bei Spenden bleiben. Der Newsletter ist frei verfügbar, werbefrei und kostet nichts. Das wird alles so, wie man das von Correctiv bereits kennt.

Was waren bislang die größten Herausforderungen, bei der Umsetzung des Projekts?

Also auf jeden Fall den richtigen Ort finden, diesen dann umzubauen, einzurichten und das ins Laufen zu kriegen – gerade als Unternehmen, das jetzt nicht aus der Gastro kommt. Und dann das Community-Building: Wie kriegen wir die Leute hier rein? Wie bekommen wir die Leute dazu, unsere Newsletter zu lesen und mit uns zu interagieren? Wir haben zum Beispiel bei unserer Veranstaltung zum Thema Müll schon gemerkt, dass wir die Leute mit den Workshop-Elementen an dem Abend ein wenig überfallen haben. Es hat am Ende gut funktioniert, aber wir müssen noch lernen. Im Moment probieren wir einfach vieles aus.

Gibt es nach der kurzen Zeit schon ein Learning, das du weitergeben kannst?

Lokalredaktionen sollten ihre Türen öffnen. Ich bin jetzt schon fest davon überzeugt, dass das Konzept funktioniert Wir hatten schon viele Leute, die hier einfach reinspaziert sind, die mit uns gesprochen haben und es toll finden, dass wir hier sind.

Wie übertragbar ist die Idee eines Journalismus-Cafés für andere Lokalredaktionen?

Wenn ein Verlag einfach unten in seinem Leserladen ein Café aufmachen würde, aber dort sonst nichts passiert, dann bringt das nichts. Es braucht die Überzeugung, dass es nur zusammen geht: Wir als Redaktion gehören hierhin. Wir haben hier eine Rolle, die irgendwo zwischen Redakteur und Wirt liegt. Wir fühlen uns nicht als Gatekeeper, sondern als Gastgeber für das Stadtgespräch. Wenn man das übertragen will, muss man das wirklich wollen und mit Leben füllen.

Tobias Hauswurz

Tobias Hauswurz ist Redaktionsleiter von Spotlight Gelsenkirchen. Davor hat er bei Correctiv die Projekte beabee und den CORRECTIV.Starthub als Community-Manager mitgestaltet und unter anderem Austauschformate für lokale Medien-Starter organisiert. 2022 hat er zusammen mit Pauline Tillmann das Handbuch „Lust auf Lokal“ veröffentlicht.

Spotlight Gelsenkirchen

Das im Juni 2025 von Correctiv in der Gelsenkirchener Fußgängerzone eröffnete Spotlight Gelsenkirchen ist ein Café, das gleichzeitig eine Lokalredaktion ist. Darin führt die Medienorganisation langjährige Erfahrungen mit Lokaljournalismus in Pop-up-Redaktionen wie bei ihrer Apothekenrecherche in Bottrop und dem Buchladen in Essen zusammen. „Wir sind Lokal & Zeitung“, lautet der Slogan des neuen Ortes.

Website: gelsenkirchen.correctiv.org

17. Oktober 2025